Wir sollten das viel öfter tun, um dem Wort den moralisch abwertenden Beigeschmack zu nehmen, den es im Volksmund hat. Denn mit Moral , oder gar Unmoral, hat Sucht nun wirklich nichts zu tun.
In dem Wort ist der alte Stamm Seuche oder Siechtum enthalten. Wer siech ist, ist krank. Also ist ein süchtiger Mensch ein kranker Mensch. Und Kranksein ist keine Schande.
Seit 1968 hat sich diese Erkenntnis sogar sogar bei den öffentlich-rechtlichen Versicherungsträgern durchgesetzt und ist seitdem unbestritten.
Vielleicht lockert dieses Wissen bei Ihnen die innere Sperre, die Sie veranlaßt, schon den Gedanken an die Möglichkeit von sich zu weisen, süchtig geworden zu sein.
Wir wollen Ihnen ja gar nicht einreden, daß´Sie süchtig seien. Beileibe nicht. Denn diese Feststellung kann kein anderer für Sie treffen. In diesem Punkt müssen Sie schon selbst bilanzehrlich werden.
Wir können nur aufzählen, welche Merkmale kennzeichnend für Sucht sind. Die sollten Sie sich aber sehr sorgfältig anhören. Denn irgendwo tauchte in Ihrem Innern wohl doch schon die Vermutung auf, daß Ihr Verhältnis zum Aklkohol oder zu Tabletten anders ist als das anderer Menschen: Problematischer, wenn Sie so wollen. Wir neigen zu dieser Annahme, weil zu uns kein fröhlicher Zecher kommt, um einen Kater auskurieren zu lassen. Auch keine überängstlichen Naturen, weil sie gelegentlich mal eine Aspirin- oder Spalttablette ohne ärztliches Wissen nehmen.
Wer zu uns kommt, hat Schwierigkeiten. Oder er ist am Ende, weiß nicht mehr aus noch ein. Irgendwo an einem Punkt innerhalb dieser Bandbreite steht jeder, der hier Rat und Hilfe sucht. Also auch Sie. Davon sollten wir ausgehen.
Was einmal harmlos anfing: der Griff zu Pulle oder Pille, ist nun ihrer Kontrolle entglitten. Sie wollten ja gar nicht trinken oder Pillen schlucken. Über diesen Punkt sind Sie lange hinweg. Was früher einmal Genuß- oder Erleichterungsmittel war, ist nun Lebensmittel geworden. Sie brauchen den Sprit oder die Tablette, um über die Runden zu kommen. Ob Sie wollen oder nicht. So sieht es doch aus. Sie merken: Wir kennen uns da aus und wissen, wie Ihnen zumute ist. Aber Ihre Familie weiß es nicht, oder Ihr Chef, Ihre Kollegen, Ihre Freunde. Die glauben, Sie wollten bloß nicht, Sie seien haltlos, ein Schwächling. Denn früher seien Sie doch anders gewesen. Und nun sollten Sie sich mal gefälligst am Riemen reißen. Aus Vernunftsgründen oder “aus Liebe zu mir und den Kindern”. Aber wem erzählen wir das - Sie kennen das ja alles. Und es hängt Ihnen zum Halse heraus, denn “was wissen die denn schon”, wie es in Ihnen aussieht... Darum versuchten Sie ja auch von Zeit zu Zeit, aufzuhören. Manchmal klappte es auch ein paar Tage, zuweilen auch ein bißchen länger. Nur auf die Dauer halt nicht. An Ihrem Willen kann es ja wohl nicht liegen, denn Sie schaffen ja sonst alles, was Sie sich vornehmen. Nur in diesem einen Punkt haperte es. Sie versuchten es dann mit Tricks: Runter von den harten Sachen. Mal die weiche Welle versuchen. Und nicht vor Feierabend oder Sonnenuntergang. Höchstens mal einen heimlichen Schluck in Bad oder Küche zwischendurch. Oder aus dem Vorrat im Spülkasten, dem Kleiderschrank, der Wäschetruhe. Dem Heizungs- oder Werkzeugkeller. Notfalls macht der Kiosk um die Ecke schon mit dem ersten Hahnenschrei auf und mit der Bildzeitung wechselt ein Flachmann den Besitzer.
Wenn nur der Nachtschweiß nicht wäre und die verdammte Schlaflosigkeit. Darum zittern sicher morgens früh die Kniee und die Hände. Der morgendliche Husten, bei dem sogar der nicht getrunkene Kaffee hochkommt, ist zwar unangenehm, aber es wird am Magen liegen, denn das Frühstück schmeckt ja schon lange nicht mehr.
Manchmal reißt auch der Film. Daß heißt heißt - in der letzten Zeit doch schon recht oft. Dabei hatten Sie doch eigentlich gar nicht soviel getrunken, Sie hatten nicht mal einen richtigen “Affen”, so mit allem Drum und Dran. Die andern hatten doch viel mehr intus, und was die alles für dummes Zeug geredet haben. Aber da war doch noch etwas, was war das bloß - schon wieder der Faden gerissen. Na, ist ja auch wurscht.
So oder ähnlich...
wenn Sie beim Lesen bis hierher innerlich schon ein oder mehrere Male zustimmend genickt haben sollten, dann wäre es an der Zeit, daß Sie sich mit dem Gedanken anfreunden, abhängig geworden zu sein, süchtig, siech - also krank.
Nach der Begriffsbestimmung der Weltgesundheitsorganisation besteht Sucht, “wenn der Mißbrauch eines Stoffes ein solches Ausmaß angenommen hat, daß die freie Willensbestimmung ausgeschlossen ist und körperliche und soziale Schäden deutlich erkennbar sind”.
Die vielen Ursachen, die zum Zustandekommen Ihrer Krankheit beitrugen, können körperlich, seelisch und sozial bedingt sein.
Die moderne Behandlung süchtiger Abhängigkeit nimmt Rücksicht auf alle diese möglichen Ursachen. Es besteht kein Zweifel daran, daß der Weg zur Sucht in der Regel über die Gewöhnung und den Mißbrauch führt.
Der wichtigste der anlagebedingten Faktoren ist eine anormale Reaktion auf Alkohol oder Medikamente. Nach einer Anzahl von Jahren des Mißbrauchs (die Zeitdauer ist von Mensch zu Mensch verschieden) entsteht ein seelischer und körperlicher Zwang, Medikamene zu nehmen oder Alkohol zu trinken trotz des klaren Bewußtseins über die Folgen, die daraus entstehen müssen.
Beginnt jemand, Alkohol zu trinken oder ein Medikament zu nehmen, erlebt er oft eine beruhigende Wirkung. Er glaubt eine wunderbare Entdeckung gemacht zu haben. Jede Hemmung ist beseitigt, die Verlegenheit ist fort und man kann besser an der an der geselligen Unterhaltung teilnehmen und persönliche Probleme, die vorher unüberwindlich schienen, belasten und verwirren nicht mehr. Was er unbeabsichtigt gelernt hat, wendet er nun für alle Spannungssituationen an. Wann immer Ärger und Schwierigkeiten auftauchen, wann immer der Schlaf flieht, greift er automatisch zum neuentdeckten Trost.
Doch diese spontane spontane Flucht zur Flasche, wenn etwas schief geht oder Unzufriedenheit da ist, der rasche Griff zur Tablette, wenn Einsamkeit und Schlafstörungen Sie quälen, verfehlen immer mehr ihre Wirkung. Man benötigt immer größere Mengen Suchtstoff, weil der Körper sich daran gewöhnt hat und mehr vertragen kann.
Ein ewiger Kreislauf beginnt. Erst nimmt der Mensch das Suchtmittel, dann nimmt das Suchtmittel den Menschen. Während er äußerlich immer gleichgültiger und einsichtsloser scheint, spielt sich innerlich ein ein verzweifelter Existenzkampf ab.
Es ist keine Frage des eigenen Willens
Auch seelisch robuste Naturen können auf massiven Ärger und Enttäuschung mit tage-, ja wochenlangen Trinktouren reagieren. Sie flüchten in die Euphorie und in das Vergessen des Rausches. Entscheidend für die Beurteilung solcher Exzesse als krankhafte Reaktion ist die Frage, ob sie vereinzelt oder immer wieder und in kürzester Zeitfolge auftreten und die Tatsache, da´ß die auslösenden Affekte weit unter der Reizschwelle eines seelisch gesunden Menschen liegen.
Prüfen Sie selbst, in welcher Gefährung Sie stecken. Ist Ihr Weg vom Erleichterung oder Fröhlichkeit suchenden Zecher bereits durch die Sucht eingeengt? Seien Sie ehrlich und fassen Sie den Mut zur Selbstkritik. Müssen Sie nur eine Frage mit JA beantworten, sollten Sie unseren Rat ernst nehmen.
Diese Merkmale treffen sinngemäß auch auf den Medikamtenmißbrauch zu.
Es gibt verschiedene Wege zur Gesundung. Alle Wege haben aber eines gemeinsam: Der Kranke kann nur dann gesund gesund werden, wenn er selbst einsieht, daß er krank geworden ist. Ohne Einsicht ist keine Heilung möglich. Diese Erkenntnis ist Sache des Verstandes. Suchtkranke haben oft genug Willen, aber gebrauchen zu wenig den Verstand. Jedem, der seine Jetztsituation erkennt und einsieht, was das Trinken oder der Tablettenmißbrauch in seinem Leben alles zerstörte (Gesundheit, Familie, Beruf), dem muß der Verstand sagen, daß es nur einen Weg gibt, den viele vor ihm als den allein richtigen praktiziert haben: völlige Abstinenz! Es gibt keine “Besserung”, kein langsames Wenigertrinken, nur die klare Entscheidung: keinen Tropfen mehr, keine Tablette mehr - ab sofort!
Wir glauben, daß die Aussprache mit einem Fachtherapeuten Ihnen verstehen hilft, warum Sie in eine solche Abhängigkeit geraten sind. Möglicherweise litten Sie unter der Angst, verschiedenen Aufgaben ncht gewachsen zu sein, oder einem Gefüühl der Unterlegenheit. Vielleicht aber fühlten Sie sich unverstanden, ungeliebt, was Ihr Selbstbewußtsein und Ihr Selbstvertrauen zerstörte. Es kann aber auch sein, daß Sie während Ihrer Jugend ungewöhnlich abhängig waren, z.B. von Ihren Eltern, und daurch nicht rechtzeitig lernten, auf eigenen Füßen zu stehen. - Auch nervöse Beschwerden können die Ursache für späteren Suchtmittelmißbrauch werden.
In einer analytischen Gesprächstherapie werden wir versuchen, die motivischen Hintergründe Ihres süchtigen Verhaltens aufzuhellen und mit Ihnen gemeinsam nach Wegen zu forschen, wie Sie Ihre Fehlhaltungen korrigieren können und welchen Behandlungsweg Sie gehen sollten.
Je nach Schwere der Krankheit kommen in Betracht:
Sehr oft hören wir von den Ehepartnern unserer Gruppenmitglieder: “wenn er mich wirklich liebt, würde er nicht trinken! Wenn er seinen Verstand gebrauchen würde, könnte er den Tablettenmißbrauch einstellen!”
Handelt es sich wirklich um krankhaft Abhängige, so ist darauf zu antworten: “Man könnte ebensogut von jmandem, der an Luftrörenkatarrh leidet, sagen, wenn er mich wirklich gern hätte, würde er nicht husten. Ein unbehandelter Suchtkranker kann nicht mit dem -Trinken oder Tabletteneinnehmen aufhören, ebenso wenig wie ein unbehandelter Fieberkranker mit dem Schwitzen aufhören kann.”
Die Familie des Suchtkranken kann viel zur Mithilfe tun. Vorhaltungen, Gehässigkeit und Bitterkeit nützen nicht, sondr stoßen den Kranken weiter in seine Abhängigkeit hinein. Hoffnung und Vertrauen geben dem Kranken Mut zur Abstinenz, wobei es jedem Angehörigen klar sein muß, daß von ihm viel Geduld und Verständnis gefordert wird.
Es gibt eine Behandlungsform, über deren Wirksamkeit sich alle Fachleute und Ärzte einig sind - die Gruppentherapie. Der Alkoholkranke oder Toxikomane (Medikamentenabhängige) hat in der Regel den Kontakt mit seinen Mitmenschen verloren. Er fühlt sich unverstanden, verlassen und verschanzt sich hinter einer selbst aufgebauten Verteidigungsmauer. Wenn er mit Leidensgefährten in der Gruppe spricht oder ihnen zuhört, die gleich ihm unter Gewissensqual, Schamgefühl und Selbstanklage litten, stellt er sich auf ihre Wellenlänge ein. Er ist einer von ihnen, gehört zur “Familie” - und fort sind Isolierung und Mißtrauen. Nur übr die Annahme in der Gemeinschaft findet er die innere Kraft, sich vom Suchtmittel zu lösen.
Es ist ein langer Weg, Alkoholiker odr Toxikomane zu werden - und es ist ein langer Weg, wieder ein völlig nüchterner Mensch zu werden. Am schwersten ist es, abstinent auf Dauer zu bleiben. Die Gruppe hilft, die Vorstellung zu ertragen, nie mehr ein Suchtmittel zu nehmen.
Nun haben Sie gelesen, was wir über die Alkoholkrankheiten und Toxikomanie wissen. Finden Sie Übereinstimmung oder Ähnlichkeiten, öffenen Sie die Augen für die Warnzeichen. Kluge Menschen sind nicht zu stolz, sich helfen zu lassen.
Fassen Sie vertrauen zu uns - allein haben Sie es nicht geschafft und werden Sie es nicht schaffen. Die tragende Gemeinschaft von Männern und Frauen, die glücklich sind, endlich den Weg zur Gesundung gefunden zu haben, wird auch Ihnen Kraft und Mut geben, die Zukunft zu meistern. Diese Zukunft steht auf tönernen Füßen, wenn Sie auf halben Wege stehen bleiben. Nur abstinent werden ist nicht genug. Die Heilung muß den ganzen Menschen erfassen. Sie müssen innerlich reifen und für sich die volle Verantwortung wieder tragen können.
Es ist keine Schande, suchtkrank zu sein - wohl aber nichts dagegen zu tun.
08.03.2004 | http://www.suchtkrankenhilfe.net/buttg_fb.htm http://home.t-online.de/home/hbkost/sucht/buttg_fb.htm |