Körkel und sein "kontrolliertes Trinken"

(Quelle: www.kontrolliertes-trinken.de

Kontrolliertes Trinken soll Menschen mit riskantem Alkoholkonsum vor dem Absturz bewahren. Im Heft 52/2000 berichtete der FOCUS unter der Überschrift "Zechen nach Plan" von einem Verwaltungsbeamten namens Werner Hoffmann, der mittels eines "Trinktagebuchs" seinen Alkoholkonsum kontrolliert. In kopierte Vordrucke, die ordentlich in einem Leitzordner abgeheftet werden, trägt der Staatsdiener jeden Sonntag ein, was er in den kommenden Tagen zu trinken gedenkt. Montag und Dienstag sollen alkoholfrei bleiben, auf den Rest der Woche verteilt er unter der Rubrik "Soll" sieben Flaschen Bier und sieben Gläser Wein.

Hier stellen sich dem alkoholkranken Leser schon die ersten Fragen: Muß man Beamter sein, um kontrolliert trinken zu können? Spielen Dienstgrad und Dienstalter eine Rolle? Muß Herr Hoffmann einen Leitzordner mit sich herum schleppen? Genügt auch ein Taschenkalender oder ein Terminplaner? Wie groß sind die Bierflaschen und Weingläser?

Spaß beiseite, solche Artikel, wie sie im FOCUS, im STERN und anderen Zeitschriften unter Hinweis auf Forschungsergebnisse des Psychologen und Verhaltens- und Gestalttherapeuten Prof. Dr. Joachim Körkel erschienen sind, müssen ernst genommen werden. Aber nicht, weil Körkels Thesen und Forschungsergebnisse Suchtfachleute überzeugen, sondern weil sein "Zehn-Punkte-Programm zum Kontrollierten Trinken" in den Medien als wissenschaftlich abgesicherte Alternative zur abstinenzorientierten Suchttherapie angepriesen wird.

Körkel, seine akademischen Titel lasse ich weg, macht die bewährte Behandlung von Alkoholkranken schlecht. Sie wäre zu unattraktiv ("kein Tropfen Alkohol mehr"), zu lang und käme dem Eingeständnis gleich, ein willensschwacher Mensch und Alkoholiker zu sein. Körkel verunsichert viele Menschen, die sich mehr oder weniger freiwillig für eine ambulante oder stationäre Entwöhnungsbehandlung entschieden haben oder für die es höchste Zeit ist, ein für allemal mit dem Saufen aufzuhören.

Um sich mit Körkels Thesen auseinandersetzen zu können, muß man Verlauf und Symptome der Alkoholkrankheit kennen. Für die ECHO-Leser, die mit Jellinek (ungarischer Suchtforscher) nichts (mehr) anzufangen wissen, fasse ich seine Forschungsergebnisse in wenigen Sätzen zusammen:

"Das Jellinek-Schema umfaßt vier Phasen. Innerhalb dieser Phasen gibt es eine weitere Unterteilung in 45 Stufen. Die Reihenfolge der vier Phasen steht fest, wobei diese jedoch oft unmerklich ineinander übergehen. Hingegen bedeutet die Aufzählung der 45 Stufen nicht, daß der Alkoholiker diese alle durchlaufen muß oder genau in dieser Reihenfolge. Die Stufen sind vielmehr besonders typische Merkmale oder Symptome der fortschreitenden Alkoholkrankheit. Im Einzelfall können viele übersprungen werden oder auch fortfallen; nicht erwähnte Merkmale können evtl. hinzukommen. Bildhaft läßt sich sagen: Die Stufen treffen gleich Mosaiksteinen aufeinander und zeichnen in ihrer Gesamtheit das Bild des Alkoholikers.

Die bedeutungsvollste Stufe ist die achte: der Kontrollverlust. Hier trennt sich unwiderruflich der Alkoholiker vom "Nur"-Trinker (oft verstanden als Gesellschafts-, Erleichterungs- oder Problemtrinker). Ab dieser Stufe kann man im engeren Sinne von einer Erkrankung sprechen; mit dem Kontrollverlust zeigt sich beim Alkoholiker ein Krankheitssymptom, das er weder willentlich steuern noch zum Verschwinden bringen kann. Es gibt dann kein Zurück mehr zum "normalen" Trinken und keine "Heilung" der Abhängigkeit, sondern die Krankheit kann nur noch durch dauernde und vollständige Abstinenz zum Stehen gebracht werden.

Spätestens beim Eintritt in Stufe acht an ist es auch sinnlos und falsch, das Verhalten des Alkoholikers moralisch zu bewerten. Während der "Nur"-Trinker noch für Art und Menge des Alkoholverbrauchs durchaus verantwortlich ist, verliert der Alkoholiker schon nach kleinen Mengen die Herrschaft, die "Kontrolle" darüber, ob und wieviel er weiter trinken wird; es setzt eine - krankheitsbedingte - Willenslähmung ein, gerade bezüglich der weiteren Alkoholaufnahme, die dann geradezu zwanghaft und oft gegen alle guten Einsichten und Vorsätze erfolgt."

Für Körkel trinkt jemand kontrolliert, wenn er sein Trinkverhalten nach einem zuvor festgelegten Trinkplan bzw. festen Trinkregeln ausrichtet. In einem Trinkplan kann man Festlegungen treffen hinsichtlich der Zeit, des Ortes und der Menge. Das zugebilligte Quantum an Bier und Wein orientiert sich an internationalen medizinischen Standards und liegt bei 20 - 40 g Reinalkohol pro Tag (entspricht 0,5 - 1,0 l Bier).

Körkels Programm will alle ansprechen, die an einem unschädlichen Alkoholkonsum interessiert sind. Das Programm kommt nach Körkel nicht für Menschen in Frage,

Körkels Programm richtet sich demnach an alkoholtrinkende Menschen in der prodromalen oder kritischen Phase (Anfangs- bzw. Mittelstadium). Ob es die "Kursteilnehmer" auf Dauer zufrieden stellt, sich mit medizinisch ungefährlichen Alkoholmengen zu bescheiden, mag zunächst dahin gestellt sein. Ob sie es können, ist fraglich (prodromale Phase) oder unwahrscheinlich (kritische Phase). Änderung des Trinkverhaltens ist kein Ausweg aus der Sucht sondern ist ein Symptom (Jellinek, Stufe 15).

Ich denke, daß fast alle, die Körkels "Kontrolliertes Trinkprogramm" ausprobieren, über kurz oder lang einsehen müssen, daß sie dem Verlangen nicht widerstehen können, nach dem ersten Glas weiter zu trinken. "Körkeln" löst keine Alkoholprobleme sondern verschleppt nur den Beginn notwendiger abstinenzorientierter Therapien.

Unsere Mitglieder kann ich nur dringend warnen, auf Körkels unausgegorene Ideen herein zu fallen. Es steht zuviel auf dem Spiel, um sich auf solche Experimente einzulassen. Für die "Versuchskaninchen", die abstürzen, hat Körkel auch eine Erklärung parat: Kontrolliertes Trinken ist nichts für Alkholiker und willensschwache Menschen.

Nachwort: Ich habe lange überlegt, ob ich mit einem Artikel im ECHO über Körkel unnötigerweise eine gefährliche Diskussion über "kontrolliertes Trinken" auslöse. Doch der gedanklichen Auseinandersetzung mit Körkel können sich die Selbsthilfegruppen nicht mehr entziehen - es ist schon genug über "kontrolliertes Trinken" geschrieben worden und das Thema wird noch manche Zeitungsspalte füllen. Meistens von Redakteuren geschrieben, die nichts von Suchterkrankungen wissen. Ich hätte gerne eine Stellungnahme von einem Dachverband der professionellen oder ehrenamtlichen Suchtkrankenhilfe hier abgedruckt - ich hab keine gefunden. So habe ich mich selbst an das Thema gesetzt. Ich habe versucht, so sachlich wie möglich zu bleiben.

Klaus Habekost
aus ECHO 1/2001


07.04.2001 http://www.suchtkrankenhilfe.net/koerkel.htm
http://home.t-online.de/home/hbkost/sucht/koerkel.htm