Gefährliche Zeitungsente

"Neue Medikamente erlauben Trinkern Alkohol in Maßen", diese Meldung geisterte Anfang März durch einige Zeitungen. Kann der Rezeptblock des Hausarztes teure und unattraktive (weil auf Alkoholverzicht basierende) Therapien ersetzen? Werden sich Freundeskreise nicht mehr zu Gruppengesprächen sondern zu Stammtischen treffen?

Wir lesen weiter: "Die Behandlung verlangt von den Alkoholabhängigen keine totale Abstinenz mit dem Risiko schwerer Rückfälle. Vielmehr erlaubt sie den Betroffenen kontrolliertes Trinken."

Naltrexon (Handelsname: Nemexin) ist KEIN neues Medikament. Es wird seit Jahrzehnten bei der Behandlung von Heroinabhängigen (Nimmt dem Drogenkonsumenten den "Kick" beim Heroinkonsum) eingesetzt. Seit den 80er Jahren hat es 28 Experimente und Studien gegeben, die sich mit der Wirksamkeit von Naltrexon bei der Behandlung von Alkoholkranken befassten. Die Ergebnisse waren aufgrund der berücksichtigten Teilnehmerzahlen, der Behandlungsdauer und der wissenschaftlichen Qualität kaum zu gebrauchen. Die Ergebnisse der einzelnen Studien ergaben kein einheitliches Bild, um nicht zu sagen, sie waren recht widersprüchlich. Thailändische Wissenschaftler haben jetzt keine neue (29.) Studie begonnen, sondern die bislang bekannten 28 Studien neu ausgewertet.

Ihr Fazit: "Naltroxen reduziert das Risiko schwerer Trinkabstürze für in Behandlung befindliche Alkoholiker in den ersten drei Monaten um 36 Prozent. Mit Naltroxen behandelte Patienten brachen ihre Therapie auch seltener ab. Gegenüber einer Vergleichsgruppe gab es 18 Prozent weniger Aussteiger. Deshalb sei eine kurzfristige Behandlung mit dem Wirkstoff, insbesondere in Kombination mit einer Verhaltenstherapie oder Beteiligung an einer Selbsthilfegruppe, zu empfehlen, so die Wissenschaftler."

Die Wissenschaftler weiter: "Naltrexon ist ein so genannter Opioid-Antagonist: Die Substanz blockiert auf Nervenzellen Rezeptoren, an die sich sonst körpereigene schmerzstillende Moleküle anlagern, die so genannten Opioide. In Verbindung mit Alkohol erzeugen sie das von Trinkern so geschätzte Hoch- und Wohlgefühl. Naltrexon unterbricht diese Verbindung, die bei süchtigen Alkoholikern das Verlangen nach immer mehr Drinks auslöst."

Naltrexon übt wahrscheinlich nur eine kurzfristige Wirkung (maximal 3 Monate) auf das Rückfallrisiko aus. Naltrexon reduziert die Gefahr in diesen paar Wochen aber nicht auf Null. Nach Absetzen der Behandlung lässt die Wirkung schlagartig nach. Ob Naltrexon bei langfristiger Behandlung (also nach 3 Monaten) überhaupt noch wirkt, ist sehr fraglich - es wird von den thailändischen Forschen auch nicht behauptet.

"Naltrexon hat kein Suchtpotential, auch sonst sind keine psychischen oder körperlichen Nebenwirkungen bekannt." Das ist Quatsch. Ein Medikament, das in die Biochemie des Gehirns eingreift, das auch bei der Behandlung von MS-Kranken (Multiple Sklerose) eingesetzt wird, kann nicht frei von Nebenwirkungen sein. Im Internet werden Oberbauchschmerzen, Schwindel, (leichter) Durchfall, Leberschäden (bei hoher Dosierung), Nervosität, Müdigkeit und Schlafstörungen als Begleiterscheinungen genannt.

Unklar dürfte die Wechselwirkung mit anderen Medikamenten (Tranquilizer, Antidepressiva, Schlafmitteln, Sulfonamiden, Blutdrucksenkern, Schmerzmitteln) sein. Während der Behandlung mit Naltrexon darf - wenn ich mich richtig informiert habe - kein Heroin konsumiert werden. Ich folgere daraus: der nasse Alkoholiker kann also nicht nach dem vierten oder fünften Bier eine Naltrexon-Tablette schlucken, um den beginnenden Alkoholexzess abrupt zu stoppen.

In der Presse liest sich das allerdings anders: "Naltrexon verleiht den Menschen mehr Kontrolle über ihr Trinkverhalten. Damit greift es an den Wurzeln der Sucht an, nämlich dem Kontrollverlust

Erprobt ist dagegen das Medikament Acamprosat (Handelsname: Campral). Es blockiert die Wirkung des Nervenbotenstoffs Glutamat, der zum Belohnungssystem des Gehirns zählt. Dadurch fördert es das Vergessen der Alkoholsucht. Acamprosat setzt Alkoholabstinenz voraus und wird während oder nach einer Therapie verschrieben, um die Rückfallgefahr zu vermindern. In unseren Gruppen gibt es einzelne Mitglieder, denen Campral in schwierigen Zeiten geholfen hat. Den großen Durchbruch in der Therapie von Alkoholkranken hat es aber nicht gebracht.

Klaus Habekost

Anmerkung des Verfassers: Ich habe viel Bedenken gehabt, eine reisserische Zeitungsmeldung über das "Wundermittel" Naltrexon (Kursivtext) - wenn auch kommentiert (Normalschrift)- nachzudrucken. Ich bezweifele, dass ein nasser Alkoholiker seinen Kontrollverlust mit Tabletten reparieren kann. Und wenn es doch möglich wäre: die psychischen und sozialen Folgen einer Alkoholabhängig können jedenfalls nicht Medikamenten behandelt werden. Wahrscheinlich kommen Sie zum gleichen Ergebnis wie ich: Totalverzicht ist und bleibt die beste Lösung für Alkoholprobleme.

 

29.03.2005 http://www.suchtkrankenhilfe.net/nemexin.htm
http://home.arcor.de/hbkost/sucht/nemexin.htm